Verlassene Orte – tief drinnen im Berg in tiefdunkler Totenstille – Narwal
Das Thema „U-Verlagerungen“ taucht hier im Blog immer wieder auf. Diese wahnwitzigen Pläne der Nationalsozialisten sämtliche Rüstungsbetriebe unter die Erde zu verlegen, hat quer durch das damalige Reich ihre Spuren hinterlassen. Allein hier im Landkreis gibt es drei Anlagen (Narwal, Grube Bavaria und eine Unbenannte), die zumindest teilweise unterirdisch verlegt werden sollten. Die beiden großen davon mit jeweils um oder über 10.000 Quadratmeter Produktionsfläche. Und dabei sind die wirklich großen Stollensysteme nicht hier in unserer Gegend, sondern etwa im Erzgebirge oder im Nürnberger Land zu finden. Die Anlage im Örtelsbruch hat mehrere Ebenen und kreuz und quer verbundene Stollen. Auch die vielleicht bekannteste Anlage, das Doggerwerk bei Happurg, ist um Längen größer. Und trotzdem tragen viele dieser Anlagen den „Flossenbürger Stempel“. Das KZ im kleinen Flossenbürg sorgte für die Arbeitskräfte und für das Knowhow.
Ebensolches gilt für die Anlage mit dem Decknamen „Narwal“, die sich hier, keine 10 Kilometer Luftlinie von unserem Heimatort entfernt, in einem kleinen Kaff versteckt. Nichts, aber auch garnichts lässt vermuten, was sich hier am Waldrand, in einer ehemaligen Sand- und Pegmatitgrube verbirgt. Auch die Menschen, die hier wohnen und leben wissen wohl kaum, was sich hier in dem Berg verkriecht. Und die alten, die es wissen müssten, die wollen es oft genug nicht wissen. Die, die noch gesehen haben, was hier passiert ist, haben nichts gesehen. Und sie haben nichts erzählt, totgeschwiegen für Jahrzehnte.
Als Teenager hab‘ ich meinen Vater mal gefragt, ob er was weiß von Überresten aus dem zweiten Weltkrieg. Viel war es nicht, was er von seinen Eltern erfahren hat. Er hat erzählt, dass Kriegsgefangene auf dem Hof mitarbeiten mussten, dass die paar regulären Soldaten im Ort sich verzogen haben – kurz bevor die Amis einmarschiert sind. Und er wusste, dass die Bauern nach dem Krieg ein Stofflager in Kalkhäusl ausgeräumt haben. Kalkhäusl ist auch so eine Anlage, die eigentlich für die Produktion eingeplant war – die größere der zwei großen U-Verlagerungen. Davon ist allerdings nicht mehr viel über, denn vor ein paar Jahren wurden die Stollen weitestgehend verfüllt. Die Mülldeponie, die da direkt drüber liegt hat sich da nicht so gut damit vertragen und die Stollen waren nach Jahrzehnten einsturzgefährdet. Für die Fledermäuse hat man ein paar Meter Stollen und Gänge stehen gelassen.
Und so ist heute nur doch die „Grube“ in dem kleinen Kaff übrig. Noch, denn auch dort nagen die Jahrzehnte am Gestein. Ein einfaches Betonrohr, wie es sonst für Abwasserkanäle genutzt wird, führt unter den Berg. Zehn Meter muss man hier durch kriechen. Am Ende ist noch eine Eisenstange – eine von ehemals dreien – die den Weg leicht erschwert. Eigentlich sollte dieses Rohr wohl ganz für Menschen verschlossen sein. Ist es aber nicht mehr. Dafür hat irgendwer mit wenig Skrupel gesorgt. Durchgekrabbelt sind im letzten Jahr wohl viele, denn immer wieder sind Bilder und Berichte dazu aufgetaucht. Auch im Herbst des letzten Jahres war der Zugang noch offen als wir an einem schönen, lauen Herbstabend durch diese zehn Meter Betonrohr gekrochen sind. Auf allen Vieren, die Rucksäcke vor uns her geschoben, über die Eisenstange drüber, hinein in diese stockdunkle Welt. Stockdunkel und muxmäuschenstill. Bedrückend still.
Zuerst die Anderen, denn einer sollte draußen bleiben solange wir nicht wussten, wie es innendrinnen aussieht. Ich bin draußen geblieben. Eine Zeit hatten wir ausgemacht, nach der ich einen Notruf abgesetzt hätte. Nötig war es nicht, aber amüsant war es draußen: irgendwann kamen Stimmen und Lichter näher. Wir waren nicht die einzigen, die diesen lauen Spätsommerabend nutzen wollten. Nach einem kurzen Plausch und einem Aha-Moment gingen die ganz Anderen auch rein. Die, die drinnen waren hatten zuerst an einen schlechten Witz geglaubt, als ich ihnen gesagt hatte, das da wer kommt. Und waren dann wohl ziemlich erschrocken, als da noch jemand mit im Berg war. Irgendwann wurde ich dann nachgeholt. Hinein in diese tiefdunkle Stille in der weder Licht noch Geräusche weit reichen.
Es war definitiv eine der beeindruckendsten aber auch einer der bedrückendsten Erfahrungen der letzten Jahre. Besonders als dann alle anderen wieder draußen waren und nur meine Partnerin und ich noch in der Stille blieben, um ein paar Fotos zu machen.
Zu den Fakten
Die U-Verlagerung wurde in ein bestehendes Stollensystem gebaut, das von KZ-Häftlingen aus Flossenbürg ausgebaut und erweitert werden musste. Die ursprüngliche Anlage gehörte zur Porzellanfabrik C.M. Hutschenreuther A.G. aus Hohenberg. Der Besitzer des Rittergutes hier im kleinen Kaff, Hugo Auvera, war Chef von Hutschenreuther. So wie sein Vater und Onkel davor. Auvera stammt aus einer ehemals holländischen Künstlerfamilie, die seit ein paar Jahrhunderten im fränkischen als Baumeister und Bildhauer tätig waren. Hugo Auvera war Freimaurer – die allerdings eigentlich im Dritten Reich verboten waren und unter Repressalien zu leiden hatten. Ihr Besitz wurde oft genug beschlagnahmt. Ob das hier auch der Fall war, oder ob Auvera einfach kollaboriert hat, wird man heute nicht mehr herausfinden können.
Die Grundfläche beträgt etwa 160 x 160 Meter und die Anlage ist im Schachbrettmuster (Kammer-Pfeilerbau) angelegt – man kann sich unheimlich leicht verlaufen und ohne Licht käme man nicht mehr raus. Eigentlich war geplant dort Panzermotoren durch Maybach (Norddeutsche Motorenbau G.m.b.H. (Nordbau) Berlin) fertigen zu lassen, später wurde umgeplant und die Fertigung von Hydraulik und Feingetrieben für Panzer durch Fa. Uher & Co. aus München sollte hier eingerichtet werden. Dazu kam es aber nie. Wie bei den meisten Anlagen dieser Art, war der Krieg zu Ende und dieses mörderische Regime zusammengebrochen, bevor die Anlage auch nur annähernd produktionsbereit gewesen wäre.
Wir sind die Außengrenzen der Anlage abgelaufen und teilweise Zwischengänge – aber es gibt noch mehr zu entdecken, das wissen wir. Es gibt noch einen zweiten Bereich, der durch einen Lorenstollen zugänglich ist und wohl in eine zweite Ebene führt. Den Teil im und direkt nach dem Lorenstollen hat unser guter Freund noch erkundet. Die zweite Ebene aber noch nicht gefunden. Irgendwann werden wir nochmal dorthin zurückkehren. Irgendwann.
PS. In diesem Frühjahr gab es dort eine Fledermauszählung. Dabei wurde eben auch festgestellt, dass die Anlage wieder frei zugänglich ist. Mal schauen, wann sich das ändert. Den Fledermäusen und den anderen Tieren wäre es zu wünschen, dass dort wieder Ruhe einkehrt. Die Fledermauszähler haben nämlich auch festgestellt, dass irgendwelche Idioten dort mit Feuerwerkskörpern rumgekracht haben und das muss wirklich nicht sein. Nicht an so einem Ort.
2 Kommentare
Klaus
Hammer
Weiter so…
Top das Du Deine Geschichten mit Bilder online stellen tust
Peter
Danke! Schön, wenn es dir gefällt.